Die Bottega di Roddino ist eine kleine, außergewöhnliche Tagesbar am Rande von Roddino in den Langhe. Um die Bottega zu besuchen, schlendern wir durch die engen Gassen eines verschlafenen Dorfes, dessen Weinberge die Ausläufer des berühmten Barolo-Weinanbaugebietes bilden.
Bald öffnet sich der Blick auf eine sanft gewellte Landschaft, in der Weinreben und Haselnusssträucher gedeihen. Auf den umliegenden Hügeln erheben sich kleine Ortschaften, deren Kirchtürme majestätisch über die Hügel wachen, so auch in Roddino selbst. Fast am Ende des Dorfes, vorbei am Kirchplatz und dem Lokal der weithin bekannten Köchin Gemma, fällt ein Gebäude besonders auf.
Ein Haus, dessen Fassade in leuchtenden Farben erstrahlt: Rot, Gelb, Lila, Pink und Schwarz. Es ist das Werk zweier Künstler, die in Zusammenarbeit mit dem Tourismusverband der Region Langhe Monferrato Roero ein Kunstwerk geschaffen haben. Ihr Ziel: ein multifunktionaler Ort, der kulturelles Erbe und funktionierende Dorfgemeinschaft verbindet.
Kurz und knapp: La Bottega di Roddino
Via Roma 5
12050 Roddino (CN) Italien
Tel. +39 339 446 3850
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Tagesbar, Mittagstisch und Abendessen mit piemontesischer Küche
Weine regionaler Winzer: Nebbiolo, Dolcetto, Barbera, Barolo, Pinot Noir
Die Bar liegt an einem zentralen Punkt der Bar to Bar Route und befindet sich in einem von Künstlern gestalteten Gebäude.

La Bottega di Roddino: Weinstube, Tagesbar und Treffpunkt der Locals
Kinnlange Locken, ein freundliches Lächeln und eine derbe Schürze fest umgebunden, so treffen wir Emanuela, die hier von allen Emi genannt wird. Sie ist die Wirtin der Bottega di Roddino und gerade noch in ein Gespräch vertieft. Gut für uns, denn so haben wir Zeit, dem Treiben in der Bar ein wenig zuzusehen.
Bei Emi treffen sich die Einheimischen, egal welchen Alters. Sie plaudern am Tresen oder essen zusammen zu Mittag. Sie trinken einen Aperitif, spielen Karten oder teilen Freud und Leid des Alltags. Ganz normale Dinge, die das Zeug haben, Menschen zu einer gesunden Dorfgemeinschaft zusammenzuschweißen.
Gastwirtin aus Passion: Emis Weg in die Bottega
„Ich arbeite seit rund 25 Jahren in der Gastronomie“, erzählt Emi, während ihr eine Dorfbewohnerin am Nachbartisch kunstvoll gehäkelte Taschen zur Ansicht auslegt. Emis Geschichte beginnt in Monforte d’Alba, der nächstgelegenen Stadt mit knapp 2.000 Einwohnern, wo ihre Familie seit jeher lebt. Noch während ihres Politikwissenschafts-Studiums eröffnete sie mit einem Freund eine Osteria in der Langhe. „Weil es mir Spaß machte, entschied ich mich dabei zu bleiben“, sagt sie. Die Liebe zum Essen und zum Wein ließ sie nicht mehr los.
Nach verschiedenen gastronomischen Stationen führte sie ihr Weg in die Pizzeria „In Piazza“ im Zentrum von Monforte d’Alba, die sie rund zehn Jahre lang mit zwei Partnern betrieb. Doch irgendwann war auch damit Schluss: „Zu viele Leute, zu hohe Kosten, von allem zu viel“, erinnert sich Emi.
„Ich dachte, mein Leben müsste eine andere Richtung nehmen, langsamer und ruhiger werden.“
La Bottega di Roddino: Eine neues Projekt für Emi
Die Entstehungsgeschichte der Bottega di Roddino ist eng mit der Vision des Bürgermeisters Andriano Marco verbunden. Er initiierte den Umbau eines historischen Gebäudes im Zentrum des 412-Seelen-Dorfes zu einem kulturellen und sozialen Treffpunkt. Das Haus, das bis 1994 als Schule diente, sollte nach der Renovierung zu neuem Leben erwachen. In einem Ort ohne Kneipe und Lebensmittelladen sollte ein Gemeinschaftsraum entstehen. Doch als Emi 2023 zum ersten Mal das Angebot erhielt, die Bottega di Roddino zu übernehmen, war die Zeit noch nicht reif.
So fand die Eröffnung unter anderer Leitung als „Bottega Incontro“ statt. Ein Konzept, das nicht lange hielt. Als es im September 2024 erneut um die Zukunft des Lokals geht, erkennt Emi ihre Chance. „Diesmal sagte ich ja“, erinnert sie sich mit Überzeugung.
„Ich liebe diesen Ort. Die Lebensqualität in Roddino unterscheidet sich fundamental von der in Monforte. Es bereitet mir Freude zu sehen, wie Menschen hier zusammenkommen, gemeinsam speisen, Wein genießen, diskutieren und im Shop einkaufen. Die Bottega di Roddino ist ein Ort mit Potenzial, an dem man wirklich etwas bewirken kann.“
Das Konzept der Bottega di Roddino verbindet den Alltag einer traditionellen Bar mit einem sorgfältig kuratierten Lebensmittelgeschäft für den täglichen Bedarf. „Vorher gab es hier in Roddino kein Geschäft“, erklärt Emi die besondere Bedeutung der Bottega di Roddino für die Dorfgemeinschaft.
In ihrem Laden präsentiert sie ein durchdachtes Sortiment: Pasta, Schreibwaren, ausgewählte Reinigungsmittel, Backzutaten. Dazu regionale Spezialitäten wie handwerklich hergestellter Schinken, Salami, lokale Käsesorten und hochwertige Anchovis. „In der Bottega di Roddino führe ich Produkte, die die Menschen im Alltag brauchen“, erklärt sie mit pragmatischem Geschäftssinn.
Da die Bar aber auch von internationalen Gästen besucht wird, gibt es einen Bereich mit typischen Produkten lokaler Hersteller: Marmeladen, Essig, Wermut und andere regionale Spezialitäten. Oder, wie jetzt gerade, eine lokale Kunsthandwerkerin, die ihre gehäkelten und kunstvoll gearbeiteten Taschen im Lokal ausstellt.
„Sometimes you want to try something different.“ (Emi)
Für die Bar selbst wählt Emi Gerichte und Weine aus der Gegend rund um Roddino und Monforte: natürlich den berühmten Barolo, dessen Anbaugebiet an die Grenzen von Roddino reicht, aber auch Barbera, Arneis oder Nascetta. Ein handgeschriebener Zettel an der Wand preist diverse Champagnersorten an. „Für die Zukunft plane ich einen Weinkühlschrank aufzustellen und dann wird es auch Weine aus Regionen außerhalb des Piemonts geben“, verrät sie. „Das ist wichtig für die Locals, die natürlich auch einmal etwas anderes probieren wollen als die einheimischen Winzer.“
Emis Küche: einfach, kreativ und typisch piemontesisch
Da es keine professionelle Küche gibt, kann Emi nur kalte Speisen frisch zubereiten. „Warmes Essen geht nur, wenn es schon fertig ist“, erklärt sie. Um den Mittagstisch dennoch mit Pasta, Suppen oder anderen Kleinigkeiten zu bereichern, kauft sie das eine oder andere Gericht bei ihrem Fleischlieferanten ein.
Die Gerichte sind typisch piemontesisch: Vitello Tonnato, Acciughe Verde (Sardellen in grüner Soße), Carpaccio oder Antipasti Piemontese: einfache, aber typische Gerichte der Region. Morgens gibt es süßes Gebäck, mittags Salate, Pasta, Suppen, Panini und immer wieder Platten mit Käse, Schinken und knusprigem Brot.
Die Getränkeauswahl umfasst neben Wein auch Espresso, Caffè Latte, Orzo und Tee. „Ich mische viel“, erklärt Emi ihr kulinarisches Konzept, „jede Woche gibt es andere Gerichte. So kann das gleiche Essen in der nächsten Woche etwas anders auf den Tisch kommen.“
Als Beispiel nennt sie ihren Salat für die Wintermonate: „Fenchel und Orangen sind typisch für diese Jahreszeit. Also mische ich den Salat mit Fenchel, Orangen und etwas Orangensaft.“ Auch die Kuchen für die Bottega di Roddino backen Emi und ihre Mutter selbst.
Aus der Speisekarte der Bottega di Roddino
- Vitello Tonnato: Kalbfleisch mit Thunfischsauce nach Emis Rezept
- Acciughe al Verde: Anchovis mit einer grünen Sauce nach persönlichem Rezept
- Carne Cruda: Piemontesisches Tatar aus dem Fleisch einer besonderen Rinderrasse
- Antipasti Piemontese (Giardiniera): Gemüse in Essig-Tomaten Sud gekocht, serviert mit Thunfisch und Brot
- Saisonale Salate: z.B. im Winter mit Fenchel und Orangen oder Insalata di Cavolo (Krautsalat) mit Sardellen
- Formaggi com Composta di Cipolle Rosse (Käse mit roter Zwiebelmarmelade)
- Hausgemachte Kuchen: Gebacken von Emi und ihrer Mutter
Dazu Wein aus dem Piemont: Nebbiolo (z.B. von Gianfranco Alessandria) Barbera, Dolcetto, Barolo, Pinot Noir (von Serafina Quota), Nascetta und vieles mehr.
Arbeitsalltag und Zukunftsvisionen
Obwohl Emi die Bottega di Roddino abends früher schließt als ihre früheren Lokale, ist ihr Alltag kräftezehrend. „Ich öffne die Bar morgens um 9.00 und schließe sie abends um 20.00 oder 21.00 Uhr. Das sind zwölf Stunden Service. Eine Herausforderung“, sagt sie ehrlich.
Um das Arbeitspensum erträglich zu halten, bleiben die Türen der Bottega di Roddino montags und dienstags vormittags geschlossen. „In der Sommersaison werden wir die Bottega wahrscheinlich auch am Montag öffnen“, blickt sie in die Zukunft.
Ihre Vision ist eine einladende Außenterrasse vor dem Lokal, auf der schon jetzt zwei Weinfässer auf den kommenden Sommer warten. Der kleine Platz mit einer Handvoll Parkplätzen soll mit Tischen bestückt werden. Und an zwei Abenden in der Woche will Emi länger öffnen: für kulturelle Veranstaltungen mit Musik, Partys und exklusiven Weinproben.
Die Bottega di Roddino im Rahmen des regionalen Tourismus
Im Vergleich zu touristischen Hochburgen wie Barolo oder Monforte d’Alba bewahrt sich Roddino eine dörflich authentische Atmosphäre. Doch aufmerksame Reisende entdecken zunehmend den Charme solcher Kleinode.
„In der Bottega di Roddino erleben wir eine andere, nachhaltigere Form des Tourismus“, erklärt uns Emi. „Die Gäste, die den Weg nach Roddinio in die Bottega finden, schätzen die landschaftliche Schönheit der Langhe. Ihre Motivation unterscheidet sich grundlegend von der jener Besucher, die sich ausschließlich für die renommierten Weingüter des Barolo interessieren.“
Und weil das Lokal verkehrsgünstig an der „Bar to Bar“-Route der Urlaubsregion Langhe Monferrato Roero liegt, wird es zum idealen Ausgangspunkt für Ausflüge nach Serravalle Langhe oder Monforte. „Die Bottega ist vor allem für Fahrradtouristen ideal gelegen“, unterstreicht Emi die touristische Bedeutung ihres Betriebes.
Ob Einheimische, Wanderer, Autofahrer oder Radfahrer: bei Emi sind alle willkommen.
Von der Dorfschule zum Kunstprojekt: Die Geschichte der Bottega di Roddino
Das Gebäude, in dem die Bottega di Roddino eingerichtet wurde, diente bis 1994 als Dorfschule. 2023 erfuhr es durch die Intervention des britischen Bildhauers Liam Gillick und der deutschen Künstlerin Hito Steyerl eine künstlerische Metamorphose.
Ihr Kunstwerk mit dem Titel „However Many Times We Ran The Model The Results Were Pretty Much The Same“ (Wie oft wir das Modell auch ausprobiert haben, die Ergebnisse waren mehr oder weniger die gleichen) schmückt heute die Fassade. Es ist Teil des Projekts Prospettive/Perspectives, das von einem Programm der EU finanziert wird und an dem der Tourismusverband Langhe Monferrato Roero, die Stiftung Sandretto Re Rebaudengo und die Villa Arson beteiligt sind.
Hito Steyerl & Liam Gillick: „However Many Times We Ran The Model The Results Were Pretty Much The Same“
Drei Fassaden des historischen Gebäudes zeigen ein Gittermuster, das stilisiert die Beschaffenheit des umliegenden Geländes wiedergibt. Die verwendeten Farben sind das Ergebnis einer Computersimulation, mit der versucht wurde, die soziale Struktur und die Einkommensverteilung der Region vorherzusagen. Obwohl viele Parameter verändert wurden, blieben die Ergebnisse der Simulation bis auf zwei Faktoren gleich: extreme Klimaveränderungen und Konflikte. In Gillicks und Steyerls Intervention wird eine Landschaft als abstraktes soziales Porträt dargestellt, das in der Realität des Ortes verwurzelt ist.
Im Inneren der Bottega di Roddino sind die Wände teilweise unverputzt. Die Besucher sitzen auf schwarz-weißen Plastikstühlen an Holztischen oder an einer Theke. An der Wand erinnert ein Zeitzeugnis an ein dunkles Kapitel der italienischen Geschichte: Reste einer Inschrift aus der Zeit des Faschismus, als historisches Dokument. „Libro e moschetto fascista perfetto“, wie es zur Zeit des Faschismus in fast allen italienischen Schulen zu lesen war.
Neben der Bottega di Roddino gibt es im Haus eine Arztpraxis und eine Bibliothek.

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