Und rührs ein pahr Vatter Unßer lang… die Zeitangaben im gleichnamigen Kochbuch (2014 erschienen bei Edition Raetia) sind alles andere als herkömmlich. Und auch bei den Mengenangaben und Rezept-Zutaten gibt es zahlreiche, die wir heute kaum mehr kennen oder nur noch in geringen Mengen zur Verfügung haben. Dass das Kochbuch der Autoren Franz und Cornelia Haller so ungewöhnlich daherkommt, hat einen Grund: die Vorlage für diese schöne Tiroler Kochbuch bildet die Rezeptsammlung eines ihrer Vorfahren.
Handgeschriebene Rezepte – ein Blick in den Suppentopf vor 200 Jahren
Das handgeschriebene Kochbuch des Tirolers Joseph Anton Haller, der zur Zeit Andreas Hofers im Passeiertal in Südtirol lebte, ist 200 Jahre alt. Die Familie Haller besass damals den Schildhof Saltaus, der heute noch existiert. Nach einer wandlungsreichen Geschichte wurde der Hof zu einem Viersterne-Hotel, welches noch heute existiert. Die dunkel getäfelte, gemütliche Stube mit Kasettendecke, in der die Gerichte aus diesem Kochbuch vermutlich serviert wurden, dient heute als Gaststube. Ob die Gäste wohl wissen, dass Andreas Hofers Familie und er selber hier vorübergehend Unterschlupf fanden? Oder dass der spätere Meraner Bürgermeister Joseph Valentin Haller, der spätere Bürgermeister und Wegbereiter Merans zur weltbekannten Kurstadt, vom Schildhof stammten?
Nur hat sich die Küche Europas und auch Tirols längst grundlegend verändert. Zubereitungsmöglichkeiten vereinfachten sich und die Lebensmittel an sich wurden variantenreicher. Viele Zutaten, die uns heute alltäglich erscheinen, wie Tomaten, Bohnen oder Paprika hat es um diese Zeit in Tirol noch gar nicht gegeben. Anderes, was heute teuer oder als Dellikatesse gehandelt wird wie Flußkrebse oder auch Wild, stand früher beständig auf dem Speiseplan dieser – allerdings privilegierten – Familie.
Interessant für mich, auch viele kaum noch gebräuchlichen Bezeichnungen oder hättet Ihr gewusst, was sich hinter einem Kapaun verbirgt?
Eine Möglichkeit die Gerichte zeitgemäß zu übersetzen, hat Cornelia Haller durch langwieriges Austesten gefunden. Die Rezeptanleitungen wurden an heutige Möglichkeiten angepasst, Massangaben (die meistenteils ohnehin fehlten) ergänzt oder zeitgemäß verständlich übersetzt.
Die Rezepte sind nahezu nie vegetarisch und schon gar nicht vegan. Sehr einfache Gerichte findet man fast gar nicht, da die Zubereitung der Hausmannskost möglicherweise nicht erfasst wurde. Dafür ist das Buch durch einige Grundrezepte für die Herstellung von Brühe oder Strudelteig und mit Schätzen aus der damaligen Hausapotheke ergänzt.
Ich wurde in den Rezepten für Süßspeisen fündig und habe aus den kandierten Pomeranzeschalen kandierte Zitronenschalen gemacht. Es hat funktioniert, ging leicht und werden wir wiederholen.
Das Rezept ist hier nachzulesen!
Inhalt – Und rührs ein pahr Vatter Unßer lang
Vorwort
Geschichtliches zu den Passeirer Schildhöfen vom Mittelalter bis heute
Tiroler Küche und Zubereitungsmethoden um 1800
Rezepte
Glossar und Erläuterungen
Und rührs ein pahr Vatter unßer lang
Autor Franz und Cornelia Haller
Erschienen bei Edition Raetia 2015
Preis € 19.90
19 x 23,5 cm 128 Seiten Hardcover
Diverse farbige Illustrationen und Bilder
ISBN 978-88-7283-479-4
Danke für den wundervollen Buchtipp. Die Zeitangabe mit dem Vaterunser finde ich großartig und vor allem die Rezepte für Süßspeisen würden mich sehr interessieren.
Danke für den in der Küche wohl etwas unhandlichen Hinweis – vor allem für jene wie mich, die ohne Rezept (nach Gefühl) kochen, was aber auch mal schief gehen kann. Der erwähnte Schildhof ist zwar in der Grundsubstanz ein historisches Bauwerk mit Zinnen usw. geblieben, wurde aber aufgebläht wie eine bombierte Konservendose mit dem üblichen Reiche-Leute-Viersterne-Dekor und vermittelt mir als Architekt den Wunsch nicht dort unterzukommen – wahrscheinlich würde ich schlecht träumen. Die Zeiten der bürgerlichen Haller haben sich also auf heutige Weise fortgesetzt.
Wer dagegen das Buch „Gsessen wurde lei nur bam Essen“ mit den Erzählungen der alten Leute aus dem Villnösstal gelesen hat, der weiß, dass die weniger Wohlhabenden kein Kochbuch brauchten um das ewige armselige Einerlei herzustellen, bei dem Weißbrot schon ein seltener Luxus war und Eier sowie Butter nicht selbst verbraucht sondern verkauft wurden – ist alles mal nur 40-50 Jahre her.
Nach Polt: Zeit x Zeit=Mahlzeit!
Andreas
Das Buch und die Erlebnisse der Villnösser schwirrten mir auch im Kopf herum. Ich finde erstaunlich, wie sich die Küche in so kurzer Zeit doch mehrfach gewandelt hat.
Den Schildhof kenne ich gar nicht. Danke für die Erläuterungen.
Und zu den Anweisungen:
Ich habe aus Spaß mal das Vater Unser gemurmelt und mir dabei vorgestellt Kuchenteig zu rühren… Ich gebe zu: für mich isses auch nichts!