Südtirol entdecken, das bedeutet für die meisten Urlauber sportliche Betätigung in den Bergen, gutes regionales Essen, ein Besuch der Museen oder Entspannen in einem der fantastisch gelegenen Wellness-Hotels. Und tatsächlich – damit macht man schon (fast) alles richtig.
Dass die Region jedoch noch weit mehr zu bieten hat, davon habe ich mich auf zahlreichen Reisen in den letzten Jahren überzeugen können. Vor allem die Architektur Südtirols, die an vielen Orten eine spannende Symbiose zwischen Tradition und Modernität eingeht, fasziniert. Eine wunderbare Möglichkeit, in diese Thematik einzutauchen, sind die „Tage der Architektur in Südtirol“. Eine Veranstaltung, die tiefe Einblicke in das Leben der Südtiroler gewährt. Auf den geführten Rundgängen hat der Gast die Chance, ein großes Stück Alltag aufgezeigt zu bekommen.
Tage der Architektur in Südtirol – Was steckt dahinter?
Die Tage der Architektur in Südtirol werden seit 2015 einmal jährlich von der Architekturstiftung Südtirol organisiert. Sie finden Ende Mai oder Anfang Juni statt und erstrecken sich über die gesamte Region von den Dolomiten bis hoch in den Vinschgau, von der österreichischen Grenze bis in Südtirols Süden.
Auf geführten Ganz- oder Halbtagstouren erhalten Einheimische und Gäste Einblicke in Südtiroler Bauten, wie man sie sonst nur selten bekommt. Vielfach sind die Touren mit fachkundiger Begleitung. Es ist die Chance, namhafte Südtiroler Architekten zu treffen, Künstler, Einheimische und andere Gäste im intensiven Gespräch zu erleben. Eine fantastische Möglichkeit für einen Blick hinter die Kulissen. Wer wissen will, wie Südtiroler leben, wo sie arbeiten, sich fortbilden oder wie sie es verstehen, zu genießen: hier ist eine perfekte Gelegenheit, ihnen zuzuschauen und sie nach ihrem Alltag zu fragen.
In jedem Jahr stehen die Tage der Architektur in Südtirol unter einem Motto. Einzelne Touren werden dementsprechend zusammengestellt und zu einer gesonderten Thematik angeboten. Je nach Dauer und Örtlichkeit werden die Routen zu Fuß, per Rad oder mit einem eigenen Pkw zurückgelegt, wobei ich bisher immer nur Touren gemacht habe, für die das Auto erforderlich war. (Hier steckt eine der wenigen Macken des Programms: man muss manchmal sehr gründlich lesen, wo die Tour startet und dem straffen Zeitplan gut folgen, damit man immer den richtigen Anschluss mitbekommt. Auf unseren Touren haben allerdings alle früher oder später wieder zur Gruppe zurückgefunden.)
Für die Planung stehen den Gästen Programmhefte zur Verfügung, in denen die Rundgänge ausführlich beschrieben sind. Datum, Zeit, Treffpunkt, Verkehrsmittel, Preis und Begleitung sind aufgelistet. Für die meisten Touren ist eine Vorabanmeldung dringend erwünscht.
Für jede „Architektour“ sind die einzelnen Etappen kurz beschrieben. Wer mehr erfahren will, schaut in die Gebäude-Briefe (Begleitheft) oder ins Internet. Alle Unterlagen existieren in deutscher und italienischer Sprache. Sofern die zuständige Person nur italienisch spricht ( was in Südtirol eher selten der Fall ist), wird die Tour in englischer Sprache geführt oder es findet sich ein Übersetzer.
Tagestouren sind in der Regel mit einem Mittagessen verbunden, das zwar selbst gezahlt, aber oft gemeinsam eingenommen wird. Zwischendurch gibt es immer wieder eine kleine Stärkung oder ein Getränk an einem der Orte, die man besucht. Die Südtiroler sind sehr gastfreundlich.
Da neben öffentlichen Gebäuden Privathäuser besichtigt werden, ist der Kontakt mit den Einheimischen teilweise sehr konkret, denn es kann schon vorkommen, dass eine Gruppe von 20-30 Personen plötzlich im Bad oder Schlafgemach der Hausherren stehen.
Die Gespräche sind, je nach Umfeld fachlich geprägt. Ich selbst habe meist eine gute Mischung erlebt. Wer einfach nur mitlaufen und schauen will, ist genauso herzlich willkommen, wie jene die genaue Details erfragen.
Die Tage der Architektur sind zu einem beliebten Treffpunkt für thematisch interessierte Besucher geworden. Die Anwesenheit einheimischer Architekten ermöglicht eine gezielte Fragestellung, was aber nicht bedeutet, dass es nur um Fachsimpelei geht. Wenn man als Gast einfach zuhört, hat man die Chance viele Interna oder kleine Anekdoten zu erfahren.
Tour-Beispiele für die Tage der Architektur in Südtirol
Im Folgenden gebe ich einen kurzen Überblick über Touren, die ich selbst gemacht habe und zeige Bilder. Zu einigen Themen wird es hier auf dem Blog noch weiterführende Artikel geben. Da alles zusammen für einen Blogbeitrag zu viel wäre, beschränke ich mich in diesem Beitrag auf die Zusammenfassung.
Tour 1 – Von Bildung bis Kunst
• Grundschule (13. Jahrhundert/Umbau 1999–2001), Auer
Ein Schulhaus als zentraler Ankerpunkt zwischen Alt und Neu
MoDus Architects und Bergmeisterwolf Architekten, Kunst am Bau: Lies Bielowski
• Fachoberschule für Landwirtschaft (13. Jahrhundert/ Umbau 2001), Auer
Vom herrschaftlichen Gutshof zum funktionellen Schulgebäude
Architekt Hans Wolfgang Piller (Piller Scartezzini Architekten)
• Grundschule „Kaiser Franz Joseph“ (1908/Umbau 2010), Neumarkt
Architekt Wilhelm Anton Linke, Umbau: Architekt Walter Angonese, künstlerische Intervention: Manfred Alois Mayr; Führung mit dem Künstler
• Haus Prey (2014), Neumarkt
Ein zeitgenössisches Wohnhaus, von innen entwickelt und im Dialog mit seiner Umgebung
Architekt Walter Angonese, künstlerische Intervention: Manfred Alois Mayr; Führung mit dem Hausherrn
Mittagessen im Gasthof Zum Löwen in Truden
Einführung in die Dorfentwicklung von Truden durch Bürgermeister Michael Epp und Rundgang durch den Dorfkern mit Besichtigung folgender Gebäude:
Haus Stuppner (2016), Truden
Dell’Agnolo Kelderer Architekturbüro
Haus am Hörmannweg (2017), Truden
Architekt Daniel Ellecosta
Haus Pernter (2017), Truden
Architekt Christoph Mayr Fingerle
• Besuch des Künstlerateliers von Robert Bosisio in Truden mit Umtrunk
Tour 4 – Kultur und Tourismus
• Hotel Nives (2013), Sulden
Neue Impulse für das Suldner Dorfzentrum Architekt Arnold Gapp
• Messner Mountain Museum „Ortles“ (2004), Sulden
Zwischen Yaks und König Ortler: ein spannendes MMM – Architekt Arnold Gapp
• Wohnhaus Eberhöfer (2010), Sulden (ohne Abbildung)
Ein Wohnhaus in Sulden, fussläufig vom MMM Ortles entfernt – Architekt Arnold Gapp
• Landwirtschaftsschule Fürstenburg und Schüler- und Schülerinnenheim (13.Jahrhundert/Umbau 2011), Burgeis
Imposantes Wohngebäude und in den Berg eingelassene Schulräume – Sehr spannend!
Architekt Werner Tscholl
• Verwaltungsgebäude Rizzi (2004), Latsch
Ein Gebäude, das ich schon seit Jahren kannte und das schon von weither sichtbar ist. Erinnert an eine Apfelkiste.
Architekt Werner Tscholl
• Bauernhaus Matthias Dell’Agnolo (2014), Latsch
Modernes privates Bauernhaus inmitten von Obstwiesen Dell’Agnolo Kelderer Architekturbüro
• Gasthof zum Riesen (2016) Tarsch
Traditionsreicher Gasthof zum Verlieben.
Dell’Agnolo Kelderer Architekturbüro
Mehr Fotos: → Was ganz psunders im Vinschgau: Gasthof Zum Riesen in Tarsch ←
Tour 9 – Bauhaus und klassische Moderne in Südtirol
• Hotel Bad Dreikirchen (1325/Umbau 2006), Barbian
Dreifach Sommerfrische, so wie man sich das erträumt.
Architekt Lazzarini Pickering Architetti
→ Bergauf mit Freud und Morgenstern – Hotel Gasthof Bad Dreikirchen ←
• Haus Welzenbacher (1920er-Jahre), Barbian
Alpine Variante der klassischen Moderne Architekt Lois Welzenbacher
• Haus Settari (1913/Umbau 2013), Barbian
Weiterbauen: vom Wohnhaus zur Dependance Bergmeisterwolf Architekten
• Pension Briol (1928), Barbian
Ein Juwel des rationalistischen Stils, entstanden aus einem Bauerngasthof
Architekt Hubert Lanzinger
→ Briol – Der Sommerfrische-Traum der Johanna Settari ←
Tage der Architektur – Ein Fazit
Mir persönlich haben die Touren einen noch besseren Zugang zu Land und Leuten verschafft. Ich habe in kurzer Zeit Orte besucht, die ohnehin auf meiner Wunschliste standen und von denen ich ganz genau weiß, dass ich noch einmal hinfahren werde.
Die große Gastfreundlichkeit der Südtiroler, die Einladungen an teils doch schon recht große Gruppen, private Häuser zu besuchen, fand ich ausgesprochen großzügig und ein besonderes Highlight. Einzig die lange Dauer der Touren, die vielen Stationen, habe ich manchmal als etwas anstrengend empfunden. Da nicht jeder eine schwere Kamera mit sich rumschleppt und nebenbei Notizen macht, kann es aber ein sehr subjektives Empfinden sein.
Je nach Möglichkeit werde ich die Tage der Architektur auf jeden Fall noch einmal besuchen. Sagt doch Bescheid – vielleicht trifft man sich?
Tage der Architektur Südtirol
Architekturstiftung Südtirol
Wann und wo: Ende Mai / Anfang Juni in Südtirol
Thema: Wechselt jährlich
Was: Geführte Besichtigungen zu Fuß, mit Pkw, Fahrrad oder Bus, vielfach in fachkundiger Begleitung und in Anwesenheit Südtiroler Architekten
Anmeldung und Preise: Für die Führungen kann man sich im Vorfeld anmelden. Es fällt eine Gebühr an, die je nach Dauer/Aufwand 2017 bei 15 – 25 € lag
Mehr Info: stiftung.arch.bz.it/de/
Informationen für einen Aufenthalt in Südtirol www.suedtirol.info
Meine Reise zu den Tagen der Architektur wurde unterstützt von der IDM. Danke!
Einfach nur wow. Ich beneide dich sehr. Sobald ich kann, möchte ich auch da hin.
By the way: die Architektur App mit über 120 Beispielen habe ich für die damalige SMG (Südtiroler Marketing Gesellschaft) erarbeitet. Seit einigen Jahren organisiere und begleite ich Architekturfahrten in Südtirol – die Region ist inzwischen ein Reiseziel für Architekten geworden, nicht zuletzt auch durch die Architektouren. Einen Führer zu den modernen Bauten der Weingüter habe ich unter dem Titel „WeinBau – Architektur und Wein in Südtirol“ 2016 im Folioverlag (www.folioverlag.com) herausgegeben. Für alle die Wein und Bauen genießen wollen. Gleichzeitig weise ich auf mein Buch „Moderne Architektur in Südtirol“ hin, erschienen im Callwey Verlag München.
Andreas
Danke für die Hinweise lieber Andreas!
Dein Buch WeinBau und Architektur in Südtirol habe ich sogar hier auf dem Blog besprochen: https://www.schoenstezeit.de/weinbau-wein-und-architektur-in-suedtirol-buchvorstellung/
Liebe Grüße aus Hamburg!
Die Architektur in Südtirol hat uns auch schon oft begeistert, aber von dieser Veranstaltung lese ich zum ersten Mal.
Herzlichen Dank für diese Anregung. Vielleicht schaffen wir einen Besuch im kommenden Jahr.
Viele Grüße, Verena