Als Kreativschaffender in der Lebensmitte ist die Entscheidung für ein neues Betätigungsfeld oft eine hochprozentige Mischung aus Destillat und Storytelling. Der eigene Rum, Gin oder Wodka – bei einem beliebigen Lohnunternehmen gebrannt, aber mit einem starken eigenen Branding. Angereichert durch einen urbanen Mythos der Selbstfindung, die vom entfremdeten Werber zum rauschebärtigen Schnapsbrenner mutieren ließ und einem Packaging mit starken Anleihen aus dem 19. Jahrhundert.
Gut verpackt
Die Verpackung spielt für die junge Destillerie Puni aus Südtirol ebenfalls eine große Rolle, allerdings handelt es sich hier weder um Naturkarton noch um mundgeblasene Flaschen. Hier ist es vor allem ein 13 Meter hoher Kubus aus 6.300 gebrannten Ziegeln, der seit 2010 in der Landschaft des Obervinschgau steht, vor den Toren der historischen Stadt Glurns. Die Grundsteinlegung des Gebäudes fand schon statt, bevor es das Logo für den eigenen Whisky oder das Getreide für den ersten Jahrgang gemälzt wurde.
Der Puni-Gründer ist tatsächlich so neu im Whisky-Geschäft wie die großstädtischen Pendants, aber Albrecht Ebensperger muss sich keine kreative Biographie ausdenken. Seine Vita ist so bewegt und voller Verästelungen wie die eines Universalgelehrten. Als er seine Maurerlehre beginnt und mit dem Meister adelt, ist er schon längst ein erfolgreicher Bauunternehmer. Ein paar Jahre später schließt er ein Magisterstudium als Theaterwissenschaftler mit kunsthistorischem Schwerpunkt ab, es folgt ein Studium der Baubiologie. Was immer bleibt, ist sein Brotberuf. Die gekonnte Sanierung historischer Bauten, Burgruinen und die Restaurierung von komplexen Gewölben.
Baumeister und Sommelier
In Albrecht Ebenspergers Heimat Südtirol heißen Bauunternehmer „Baumeister“ und die Bezeichnung passt zu seiner Arbeitsweise und seinem guten Geschmack. Weil der naturgemäß im Mund beginnt, bildet er sich auch noch zum Sommelier fort und beginnt irgendwann, in seinem Keller mit trinkbaren Destillaten zu experimentieren. Dass sein Sohn Jonas, der heute zum Team von Puni gehört, ursprünglich elektronische Musik machte, ist im Ebensperger-Kosmos nur folgerichtig.
Sonnenverwöhnt und dauerberegnet
Das Vinschgau ist zwar sonnenverwöhnt, doch wer sich entlang der Etsch dem Ort Glurns nähert, braucht im Auto auch an schönen Tagen oft gute Scheibenwischer. Der weitaus größte Teil der landwirtschaftlichen Fläche sind ist von Apfelplantagen bedeckt und deren Dauerbewässerung befeuchtet auch den Asphalt der Straßen. So weit das Auge reicht – industriell gefertigte Qualitätsäpfel, zu deren Schutz eine ganze Landschaft unter schwarzen Hagelnetzen aus Kunststoff verschwindet. Albrecht Ebenspergers Ziel ist es, wenigstens einen kleinen Teil seiner Heimat von dieser Monokultur zu befreien und mit Flurstücken zu mischen, auf denen wieder Weizen, Roggen und Gerste angebaut werden. Die Imagebroschüre von Puni nennt es – „Zutaten aus der Region“. Das klingt wie Understatement und ist gleichzeitig wahr, denn früher wuchs hier tatsächlich Getreide.
„Diese ewig nachgebetete Formel von der Form, die der Funktion folgt ist doch Unsinn“
Gestaltung ist stets mehr als nur die äußere Form. Sie greift immer auch in Strukturen ein und verändert – egal, wie weit sie sich auch zurücknehmen mag – ihr direktes Umfeld. „Diese ewig nachgebetete Formel von der Form, die der Funktion folgt ist doch Unsinn“, sagt der Architekt Werner Tscholl, der den Würfel der Brennerei Puni im Industriegebiet von Glurns plante. Die von ihm entworfene, von vielen Freistellen durchbrochene Fassade sei „romanische Romantik“. Eine Hülle, die nur schön sein wolle und vor der Kulisse einer romanischen Landschaft stehe. Wenn man denn unbedingt von einer Funktion der Fassade sprechen wolle, dann seien die handwerklich perfekt mit rotem Kleber verbundenen Tiroler Ziegel tatsächlich ein technisches Vehikel, hinter dem sich bei Bedarf ohne großes Aufhebens auch die Funktionsbereiche ändern könnten.
Mauern nach historischem Vorbild
Trotz aller vorab stattgefundenen Recherchen bei traditionsreichen Whisky-Brennereien und einer modernen Ausstattung mit computergesteuerter Brennanlage, kupfernen Brennblasen des schottischen Herstellers Forsyths und einer hundert Jahre alten traditionellen Getreidemühle – wer könne heute schon vorhersehen, wie sich die 900 Fässer pro Jahr angelegte Produktion weiterentwickle? So versteht sich der zweite, innenliegende Glaswürfel als flexible Produktionsstätte, in der allein die nach historischem Vorbild gemauerten Gewölbekeller unverrückbare Größen sind.
Wie wenig die ursprüngliche Gestaltungsabsicht mit der Möglichkeit ihrer Nutzung verknüpft sei, zeige sich doch auf geradezu ironische Weise an den Lagerstätten des bereits gebrannten Alkohols: Die hölzernen Marsalafässer aus Sizilien und die amerikanischen Bourbonfässer, deren unverwechselbares Aroma sich im Laufe von Jahren in das Destillat mische, seien ehemalige Bunkeranlagen in den Bergen rund um Glurns. Schöner könne eine Umnutzung nicht stattfinden, findet Werner Tscholl.
Die Form des Würfels stand schließlich Pate für das Logo von Puni und lange bevor im Oktober der erste „Italian Single Malt“ nach drei Jahren Lagerung endlich auch den Handelsnamen „Whisky“ tragen darf, ist der ikonische Bau zu einem Anziehungspunkt geworden, der jährlich 10.000 Touristen anzieht.
Architektur muss verständlich sein
„Architektur muss verständlich sein“
, sagt Werner Tscholl. Auch ohne gefällig zu sein, müsse sie den Menschen gefallen und habe aufgrund ihrer Dimension im Landschaftsbild auch eine soziale Funktion, die nicht an die Schicht des Betrachters gebunden sein dürfe.
So ist es kein Zufall, dass der Architekt Tscholl und Baumeister Ebensperger schon vor dem Bau der Destille in Puni bei einem Projekt zusammenarbeiteten, bei dem sie viele politische und gestalterische Widerstände zu entkräften hatten. Gemeinsam realisierten sie den heftig umstrittenen Umbau der Burg Sigmundskron zu → Reinhold Messners Alpin-Museum „Firmian“. Die Gestaltung von Werner Tscholl hängt die Museumsbereiche als komplett demontierbares Stahlskelett zwischen die vulkanischen Porphyrsteine der Ruine. Mit den Jahren hat sich der Stahl durch Flugrost sogar seiner Umgebung angepasst. Von außen ist kein einziges Gestaltungselement zu sehen und im Inneren der Burg gelang es Werner Tscholl und Albrecht Ebensperger, die Geschichte behutsam zu konservieren und die Mauern dennoch benutzbar zu machen.
Als sie nach der Eröffnung des Baus 2006 bei einem abschließenden Essen zusammensaßen, fragte Werner Tscholl den Baumeister nach seinem nächsten Projekt. „Ich möchte Whisky produzieren“, verkündete Ebensperger damals. Weil er bekannt dafür ist, nicht nur begeisterungsfähig zu sein, sondern auch über ein ungewöhnliches Durchhaltevermögen zu verfügen, hat niemand gelacht.
http://www.werner-tscholl.com/projects/
Whisky mit Gebirgsquellwasser vom Stilfser Joch und gemälztem Getreide aus dem Vinschgau
Was für ein beeindruckendes Gebäude, mal was ganz anderes als 08/15! Das gefällt mir! Vor allem auch die Ansichten von Innen! Whiskey habe ich schon mal in Schottland probiert, war leider nicht so meins :) Aber gegen einen leckeren Apfel von der Plantage hätte ich nichts!
Wow. Ich habe mir ja noch nie wirklich Gedanken darum gemacht, wie Architektur mit anderen Bereichen unseres Lebens zusammenhängen könnte. Aber ich finde das Thema hoch interessant und spannend. Toll, wenn jemand so klare Ziele vor Augen hat und sie auch umsetzt. Albrecht Ebenspergers Lebenslauf finde ich beachtenswert und bin mir sicher, sein gebrannter Whisky ist lecker.
Liebe Grüße
Mo