Stefan Sagmeister

Sagmeister & Walsh „BEAUTY“ – Grafikdesigner Stefan Sagmeister im MKG Hamburg

Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigt vom 15. Dezember 2019 bis 26. April 2020 die Ausstellung „Beauty" von Sagmeister&Walsh. Für mich eine bequeme Möglichkeit zu sehen, was sich die Macher von „The Happy Show" ausgedacht haben und die einmalige Chance Stefan Sagmeister persönlich zu treffen und dem gebürtigen Vorarlberger ein paar fachliche, aber auch ein paar unterhaltsame Fragen zu stellen.

„Das meiste was wir hässlich finden, ist nicht hässlich, weil es jemand hässlich gestaltet hat, sondern, es ist hässlich, weil es jemandem Wurscht war. “ Hauptsache, es funktioniert. – Wenn der renommierte New Yorker Grafikdesigner Stefan Sagmeister über Gestaltung spricht, dann geschieht das unprätentiös, nachvollziehbar und verständlich. Und mit einem unverhohlenen Drang, gegebene Umstände nicht tatenlos hinzunehmen.

Stefan Sagmeister - Tulga Beyerle
Stefan Sagmeister – MKG-Direktorin Tulga Beyerle

Bregenz – New York: Der Grafikdesigner Stefan Sagmeister

Der gebürtige Bregenzer, den es nach der Schule zunächst zum Studium an die Universität für angewandte Kunst nach Wien, später nach Hongkong und letztlich nach New York verschlagen hat, hat das Talent seine Zuhörer durch visuelle, auditive und haptische Erfahrungen in den Bann zu ziehen.

Von diesem Talent kann man sich aktuell in Hamburg überzeugen, denn Sagmeister hat hier im Dezember 2019 seine, mit der New Yorker Designerin Jessica Walsh, entwickelte Ausstellung „BEAUTY“ im Museum für Gestaltung Hamburg eröffnet. Eine Ausstellung, die ihre Premiere im Mai im Wiener MAK (Museum für angewandte Kunst) feierte und anschließend in Frankfurt zu sehen war.

„BEAUTY“ hat sich zur Aufgabe gemacht, das seit Jahrzehnten, wenn nicht schon seit Jahrhunderten angekratzte Image der Schönheit neu aufzupolieren. Uns zu erklären, dass Sicherheit, Funktionen und Normen einschränken und, wie MKG-Direktorin Prof. Tulga Beyerle erklärt, die „Notwendigkeit für die Schönheit zu kämpfen“ zu einer Aufgabe macht.

Was ist Schönheit und warum fühlen wir uns von ihr angezogen?

Nach Sagmeister&Walsh’s Theorie besetzen heutige Designer, Grafikdesigner und Stadtplaner den Begriff Schönheit überwiegend negativ. Einzig der Mode blieb es vorbehalten, weiterhin Schönheit und Funktion miteinander zu verbinden. Während gestalterische Schönheit über Jahrhunderte in der Formgebung von Alltagsgegenständen und in der Architektur eine ausgeprägte Rolle spielte, musste sie verpönt und scheinbar veraltet in den letzten Jahrzehnten der Übermacht der Funktionalität weichen. Die Ausstellung zeigt dies unter anderem in Form einer Bücherwand, die die Abnahme der Erwähnung des Begriffs „Schönheit“ in der Google-Suche zur dreidimensionalen Infografik macht.

Aber warum setzen sich Sagmeister&Walsh in „BEAUTY“ so vehement für das Thema ein? – Stefan Sagmeister sagt: „Schönheit ist im Leben verwurzelt, hat Einfluss auf unser Leben, Wir glauben, dass – wenn wir uns mit schönen Dingen umgeben, es auch einen unmittelbaren Einfluss darauf hat, wie wir uns fühlen.“ Er verweist auf die Beweisbarkeit dieser These und darauf, dass die Gestaltung unserer Umgebung dazu beiträgt, wie wir uns benehmen. In Räumen, die nach rein funktionalen Gesetzmäßigkeiten funktionieren, fühlen sich Menschen nachweislich nicht wohl. Schönheit ist eben weit mehr als eine oberflächliche Strategie:

• Jessica und ich sind über die Funktion zur Schönheit gekommen: „Immer wenn wir die Form ernst genommen haben, haben die Dinge besser funktioniert!“  – Die Ausstellung „BEAUTY“ soll zeigen, welchen Einfluss das hat. •

Sagmeister erwähnt bei seiner Führung durch die Ausstellung auch Instagram und soziale Medien insgesamt und erwähnt vor einer aufwändigen Blue-Box, dass eine Ausstellung über Schönheit heute wohl kaum ohne eine „Selfie-Station“ auskommt. Besonders kritisch steht er der Plattform Twitter gegenüber, in der Ästhetik nahezu keine Rolle spielt: „Dinge, die nur aus funktionellen Gründen gestaltet worden sind, kreiieren einen Kreis, in dem sich die Leute nicht gut benehmen und sie funktionieren nicht so gut, wie sie können.“ Er ist davon überzeugt, dass die Aggressivität in einem visuellem Medium geringer ausgeprägt ist und vergleicht das mit einem 70ger Jahre Plattenbau. „Es funktioniert, aber eben nicht so gut, wie es könnte.“

Wer die Ausstellung „BEAUTY“ besucht, sollte sich Zeit nehmen, denn neben zahlreichen visuellen Höhepunkten und Mitmach-Stationen, schließt sich ein von Sagmeister kuratiertes „Beauty Archive“ an, das ausgewählte Stücke der Sammlung des MKG zeigt.

Meine Lieblingsobjekte in der Sagmeister-Ausstellung BEAUTY

• Die Rotunde: 216 „atmende“,  von Natur aus eher hässliche Mülltüten, angetrieben von Mini-Lüftern aus Computergehäusen, verwandeln das Treppenhaus in ein endloses Geraschel und eine sich ständig verändernde und die Kreativität anregende Form. (Künstler: Nils Völker)

• Der Chromophobie-Raum: gewidmet der „weit verbreitete Tatsache, dass wir uns vor Farben fürchten.“ Dieser Raum ist unter normaler Beleuchtung rosarot und himmelblau. Durch eine spezielle Natriumdampflampe, wie sie häufig auf Baustellen oder als Straßenbeleuchtung verwendet wird, lassen sich die Farbtöne nicht mehr unterscheiden. Das Licht im Raum wird monochrom. Spooky!

• Die Fußnoten: Während Bilder, Texte und Installationen den Besucher auf Augenhöhe ansprechen, haben Sagmeister&Walsh und Direktorin Tulga Beyerle ihren Kommentare in Form von handschriftlichen Fußnoten am unteren Ende der Wände hinzugefügt. Lesenswerte Ergänzungen, die den Bezug zu Hamburg herstellen oder eben einfach nur ein nettes „Add on“ darstellen.

Stefan Sagmeister reiste von Hamburg direkt zu seiner Familie nach Vorarlberg. So sehr ich die Ausstellung und sein Können bewundere: vor allem darum habe ich ihn letztlich doch am meisten beneidet.

Mehr über die Arbeit von Stefan Sagmeister → sagmeisterwalsh.com 

Stefan Sagmeister auf Instagram: →instagram.com/stefansagmeister

Interview mit Stefan Sagmeister

Wie haben Sie die Objekte für das „Beauty Archive“ ausgewählt? 

Teilweise ist das ein Gang durch die Archive. Man kann aber nicht alles im Original sehen, zum Beispiel, wenn es um Textilien geht. Man kann nicht alle Teppiche ausrollen oder Kleider auspacken. Dann muss man auf Fotomaterial zurückgreifen. In Hamburg ist das Archiv sehr gut in Schuss. Da kann man auf die Kuratoren zurückgreifen.  Es gibt für jede Abteilung eine Fachperson, die unterstützt und berät. Die frage ich, was sie in ihrer Sammlung am Ästhetischsten finden. Es geht nicht darum, dass es kulturgeschichtlich das Wichtigste ist, denn normalerweise wird natürlich in solchen Museen nach anderen Kriterien ausgestellt. Auf diese Art und Weise ist die Auswahl immer auch für die Kuratorinnen und Kuratoren interessant.

Aufgrund der Größe der Sammlungen stelle ich es mir schwer vor, eine schnelle Entscheidung zu treffen. Wie funktioniert das? 

Ich mache die Entscheidungen schnell, auch ein wenig angetrieben von unserem wissenschaftlichen Berater Prof. Dr. Helmut Leder (Leiter des Instituts für Psychologische Grundlagenforschung der Universität Wien) der die Theorie hat, dass die Schönheit eine Abkürzungsmöglichkeit für das Hirn ist, nicht wirklich nachdenken zu müssen.

Das Hirn will die Energie nicht sinnlos verprassen und setzt so die Schönheit ein, Entscheidungen schnell zu treffen.  – Wenn ich also durch Archive gehe, die zum Teil aus Regalen mit 500 Kleinteilen bestehen, zeige ich gezielt auf Exponate und suche oft zu viel aus. Daraus werden Gruppen gebildet. Aus diesen fallen die Dinge wieder heraus, die aus unterschiedlichen Gründen, wie Lichtempfindlichkeit oder Restaurierungszustand nicht ausgestellt werden können.

Ich beobachte ihre Arbeit schon lange und finde, dass ihre Arbeit im Laufe der Zeit „schöner“ geworden ist. Ist es möglich, dass die technischen Möglichkeiten, die sich in den letzten dreißig Jahren ergeben haben, den Freiheitsgrad auf dem Weg zu Schönheit erst eröffnet haben?

Ja. Absolut. Ich glaube unser Feld ist viel größer geworden. Zum einen ist es wichtiger geworden. Wenn ich mich vor 25 Jahren vor den Bahnhof gestellt hätte und Leute nach dem Namen von drei Typefaces (Schriftarten) gefragt hätte, dann hätte mir das niemand sagen können. Jetzt weiß das glaub ich jeder. Die Öffentlichkeit ist durch die Technologie viel designaffiner geworden und interessiert sich mehr dafür.  Wenn jemand in jungen Jahren Fußball spielt, ist es viel wahrscheinlicher, das er später den Profis zuschaut und ich glaube, genau da hat sich etwas entwickelt.

Das Feld ist zum einen langweiliger geworden, weil sich so viel vor dem Bildschirm abspielt. Das war früher interessanter mit Lithografie und Siebdruck und Kalligraphie. Auf der anderen Seite ist es weiter geworden, weil die ähnlichen Tools in ganz verschiedenen Berufen angewendet werden. Das war früher nicht möglich. Dadurch, dass die Werkzeuge so ähnlich geworden sind, funktioniert das Zusammenspiel besser.

Es gab Tage, da habe ich am Morgen an einem Dokumentarfilm gearbeitet, am Mittag an einer Webseite und am Nachmittag an einer Broschüre. Drei verschiedene Bereiche. Das wäre so einfach nicht gegangen. Da waren die Handwerke zu verschieden. Deswegen sehe ich die Zukunft des Designs positiv, weil die Designer flexibel bleiben. Selbst wenn die Technisierung fortschreitet, wird es immer Bereiche geben, die virtuell oder nicht virtuell gestaltet werden müssen. Ich nehme an, es wird mehr werden, weil wir immer mehr in gestalteten Welten leben. 

Aber trotzdem finden Sie immer wieder den Dreh zurück zur eigentlichen Idee. Das ist Ihnen offensichtlich wichtig?

Ja oder zu dem, was mir als Mensch wichtig ist. Die Technologie an sich, als Technologie, hat nur selten funktioniert. Sie geht nur im Zusammenhang mit dem was uns berührt als Mensch. Und dann ist die Technologie natürlich immer ein großes Feld für neues, weil wenn es eine  neue Technologie gibt, kann auch etwas Neuartiges hergestellt werden. Ein Beispiel dafür ist das Kleid der Iris van Herpen (niederländische Modedesignerin). So ein Kleid hätte man vor 25 Jahren nicht herstellen können.

Stefan Sagmeisters Zeit ist begrenzt, aber ich wollte es mir nicht nehmen lassen, meine sechs Fragen „Unterwegs mit… “ zu stellen. Womit ich nicht gerechnet hatte, waren seine ausführlichen Antworten.

Zum → Interview: Unterwegs mit… Stefan Sagmeister  ←

Vielen Dank Stefan Sagmeister. Es war mir eine Freude.

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Charis

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