Wer kauft sich ein Haus mit schiefen Wänden und Böden, mit einem einzigen Kaltwasserhahn und der Tendenz zum einseitigen Absinken, weil die Sonne ihre Energie auf die Statik dort am kräftigsten wirken lässt? – Diana Pavlicek hat diesen Mut. 2015 kauft sie ein Grundstück im Walliser Musikdorf Ernen. 2016 lässt sie das Gebäude restaurieren. Wer heute in einer der beiden Ferienwohnungen am Küchentisch sitzt und auf Berggipfel oder Rhone im Tal, hier Rotten genannt, schaut, ist ihr aus tiefster Seele dankbar. Das „Hüs üf der Flüe“ im Walliser Bergdorf Ernen ist ein sensibel saniertes Baudenkmal, ein echter Sehnsuchtsort.
Wohnküche, Wohnzimmer, Schlafkammer und Schlafzimmer, Sitzplatz im Garten
Wohnung UG mit Giltsteinofen, Wohnung OG mit Badewanne
W-LAN, Nespresso-Kaffeemaschine, Bluetooth-Lautsprecher
Über das Musikdorf Ernen
Umgeben von markanten Gipfeln, den Alpenpässen Albrun, Griess, Furka und Griemsel liegt Ernen auf der linken Talseite des Goms. Das Dorf gehört zum Landschaftspark Binntal und hat sich als Austragungsort eines sommerlichen Musikfestivals mit internationalen Künstlern etabliert. Vielfach ist die Bezeichnung Musikdorf Ernen zu lesen. Aber auch der hohe Anteil an historischer Bausubstanz macht den Ort besonders anziehend. Der Marktplatz, auf dem die Postbusse halten und der zeitweise das Gefühl vermittelt, hier wäre die Zeit einfach stehen geblieben, gehört zu einem der schönsten und best erhaltenen Ortskernen in der Schweiz. Maßgeblich verantwortlich dafür: ein strenges Baureglement, das bereits 1943 erlassen wurde.
Tipps für Ernen und den Naturpark Binntal – Schweizer Wallis – Goms
Wie kommt man am besten nach Ernen?
„Sobald ich aus dem Zug gestiegen war und die ersten Walliser Wappen mit den rot-weißen Sternchen sah, überkamen mich schöne Erinnerungen.“ (Diana Pavlicek)
Zu Fuß wäre es unbequem, aber ein Auto ist für einen Aufenthalt im „Hüs üf der Flüe“ mehr Luxus als Notwendigkeit. Zumindest für all jene, die es weniger eilig haben. Wer den Zug aus Zürich oder einer anderen Stadt in der Schweiz nimmt, steigt im Tal aus und erreicht Ernen, auf 1.200 m Höhe ü.M., mit dem Postbus. Wie einfach das funktioniert, erfahren wir bei unserer Anreise, denn Diana Pavlicek entscheidet sich selbst immer wieder für diese umweltfreundliche Art des Reisens und wird uns kurz nach unserer Begrüßung mit der Bahn ab Fiesch wieder verlassen.
– Aus Hamburg haben wir uns allerdings mit dem Pkw auf den Weg gemacht. Das hat den Grund, dass wir vor Ort mobiler sein und uns im Anschluss mit vielen Zwischenstopps nachhause bewegen wollen. In den Genuss einer Bahnfahrt kommen wir trotzdem, denn die Fahrt ins Goms ist mit einem „Autoverlad“ verbunden. Wer die Möglichkeit hat: Die Anreise mit den scheppernden Waggons ist in jedem Fall ein Erlebnis!
Das Goms ist ganzjährig über die Autoverladestationen Furka (Realp-Oberwald) und Lötschberg (Kandersteg-Goppenstein) erreichbar. Bei der Anreise lohnt sich ein Zwischenstopp an der Gotthard-Raststätte, die die Typologie landwirtschaftlicher Nutzbauten trägt. Moderne Architektur aus Holz und Glas: unbedingt sehenswert!
Verantwortungsvoll bauen: Kirchenschutzzone garantiert dauerhaften Panoramablick
Das „Hüs üf der Flüe“ ist schon bald nach einer kurvenreichen Anfahrt in der Ferne zu erkennen. Mit seinen hellen Holzschindeln hebt es sich deutlich von den tief dunkelbraun gefärbten Gommer Blockbauten ab, die weithin sichtbar im Hang stehen und von Obstbäumen und saftigen Wiesen umgeben sind. Nur dem alten „Spycher“, der traditionell zum Haus gehört und noch nicht saniert wurde, ist sein Alter auf den ersten Blick noch anzusehen.
Dass die Fläche vor dem Haus nicht bebaut werden darf, hat das „Hüs üf der Flüe“ der dahinter liegenden Kirche St. Georg zu verdanken. Der Bebauungsplan der Gemeinde hat eine Kichenschutzzone eingerichtet. Das heißt, die Dorfansicht mit Blick auf St. Georg darf nicht verändert werden. Wo keine Bausünden stehen, werden also auf absehbare Zeit auch keine hinzu kommen. Als sie das erklärt, huscht ein breites Lächeln über das Gesicht von Diana.
Der Zugang zum Haus erfolgt über eine schmale Steintreppe und erlaubt durch einen modernen Anbau aus Holz das getrennte Betreten der beiden Ferienwohnungen. Während die untere Wohnung durch die frühere Haustür abgeschlossen ist, wurde für das Obergeschoss ein separater Zugang mit kleinem Windfang geschaffen. Über diesen bleibt ein Wechsel zwischen den Etagen möglich. Mit dem Öffnen der Verbindungstüre wird das Gebäude zum Ferienhaus und man kann zwischen den Stockwerken wechseln, ohne ein einziges Mal ins Freie treten zu müssen.
Der erste Eindruck
Wir werden in der Erdgeschosswohnung empfangen und treten durch einen kurzen Flur in eine Wohnküche. Einbauschränke vor Fenstern mit Bergblick, ein langer Esstisch und ein Ofen prägen den funktionalen Charakter des Raumes, der zum Verweilen einlädt. Etwas später erfahren wir, dass alle Möbel, Tische, Betten und Küchen aus vorhandenem Altholz gezimmert sind. Auf den ersten Blick ist das nicht zu erkennen.
Das „Hüs üf der Flüe“ gehörte bis zum Verkauf einem Dorfbewohner, der das Haus vorwiegend im Winter bewohnte. Der Mann, der im Sommer seine Zeit auf Almen verbrachte, führte ein bescheidenes Dasein. Ein Plumpsklo, das kalte Wasser und die sparsamen Möglichkeiten das Haus zu beheizen, ließen darauf schließen.
Alte Bausubstanz: Geschätztes Gut im Hüs üf der Flüe
Für Diana als Kunsthistorikerin und Liebhaberin traditioneller Bausubstanz sind diese vermeintlichen Mängel ein großes Glück. Behutsam erforscht sie den Charakter des Hauses, indem sie abtragen, reinigen und aufbewahren lässt. Stück für Stück sollen die Räume ihre althergebrachte oder eine neue Funktion bekommen.
Heidenhaus: Keine religiös gemeinte Bezeichnung, sondern auf die Konstruktion des Giebels zurückzuführen, die aus einem Kreuz besteht.
Das historische Gebäude, dessen älteste Fundstücke auf die Jahre 1424 bzw. 1427 datiert sind und das damit eines der ältesten Heidenhäuser des Goms ist, wird zu einem Ferienhaus auf zwei Ebenen. Es entstehen zwei Küchen, zwei Stuben, zwei Schlafkammern und Bäder. Neue, großzügige Schlafzimmer entstehen in einem Anbau, das einzig neu hinzugefügte Element des Traditionshauses.
Um die charaktervollen Wände des Hüs üf der Flüe nicht zu zerstören, lässt die Eigentümerin die Balken in der Küche und in den Badezimmern reinigen und nicht schleifen. Fliesen oder Estrichböden mit Fußbodenheizung gibt es nicht. Statt dessen finden sich noch immer Schmauchspuren eines Ofenabzugs an den Wänden.
Besonderes Highlight: Im oberen Badezimmer sitzt man unter Fragmenten angeklebter Bahnfahrpläne „Paris-Pontarlier – Neuchatel – Berne“ in einer Badewanne auf Löwenköpfen und lässt das Wasser aus einer herrlich altmodischen Armatur auf die Glieder rauschen. Wer die Pläne an die Wand geklebt hat? Ungeklärt. Sicher ist nur, dass der Plan von 1890 stammt und zu schade gewesen wäre, einer Verschalung mit Kachelwänden zu weichen.
Wie man das Alter eines historischen Hauses ermittelt
Dass das Alter des Hüs üf der Flüe so präzise angegeben werden kann, ist dendrologischen Untersuchungen zu verdanken, die ein sogenannter Wald-Archäologe auf Drängen Dianas unternimmt.
Mit Hilfe von Bohrungen in einer Türe des Hauses kann anhand der Jahresringe das Alter der Türe bestimmt werden. Man beginnt mit der Bohrung auf der Seite, auf der sich ursprünglich die Rinde des Holzes befand und arbeitet sich immer tiefer in das Holz. Die ermittelten Daten lassen dann Rückschlüsse auf das Alter der Türe und somit des Hauses zu.
Außerdem geben einige Besonderheiten innerhalb des Hauses Hinweise auf das Alter. So ist der historische Giltsteinofen in der unteren Stube, zu dem die Ofentüre in der Küche gehört mit der Jahreszahl 1576 verziert. Das eingebaute hölzerne Stubenbuffet stammt von 1822 und ist in seiner Originalform erhalten.
Insgesamt erfährt das Hüs üf der Flüe nach innen und außen nur behutsame Veränderungen, um es den neuen Nutzungsgewohnheiten anzupassen. Die Größe der Fenster variiert, um mehr Licht in die Räume zu holen. Aber die Böden knarren wie eh und je und wir können uns nichts Schöneres vorstellen, als bald einmal wieder barfuß über diese Dielen zu laufen.
Ferien im Baudenkmal: Mehr als ein wahr gewordener Traum
Während in der Küche das Geschirrtuch auf einem traditionellen Tragegestell für Brote trocknet (der Vorbesitzer hat die Holzträger selbst hergestellt und genutzt), schenken wir uns ein letztes Glas Wein ein. Durch die geöffneten Fenster, dringt das Rauschen des Baches aus dem Tal zu uns empor. In der Ferne flimmern kleine Lichter, die Umrisse der Berge zeichnen sich ab. Es ist ein Moment der Einkehr und der Stille, viel mehr als ein wahr gewordener Traum einer Städterin.
Unbedingt machen! Tipps für einen Aufenthalt in Ernen
• Die Ziegen der Nachbarn beobachten und durch die Vorgärten und Häuser von Ernen spazieren, die oft auf seltsamen Stelzen aus Steinen stehen, was Schutz vor Mäusen bieten sollte.
• Dem Läuten der Kirchenglocken von St.Georg lauschen, die nicht nur läuten, sondern oft als Glockenspiel erklingen.
• St.Georg | Schrot und Korn von Berg und Tal – Eine Kooperation zwischen Bäcker Robert Turzer, Wirtin Chantal Käser und Patron Klaus Leuenberger, der zuvor haubengekrönt im „Erner Garten“ gekocht hat. Die Wirtschaft befindet sich am Marktplatz von Ernen. → www.stgeorg-ernen.ch
• Mittagessen im „Erner Garten“ – Gute Hausmannskost. Mittagsmenü für ca. 20 SFR inkl. Hahnenwasser – Bei unserem Besuch gab es Minestrone, Blattsalat, Linsensalat, Saltimbocca, Pilzauflauf, Nudeln mit Tomatensoße, Fenchel, Lauchgemüse, Tiramisu → berglandhof.ch
Mehr Tipps für Ernen und Umgebung
Tipps für Ernen und den Naturpark Binntal – Schweizer Wallis – Goms
Der Aletschgletscher ist vergleichsweise nah. Wer eine unvergessliche Wanderung machen will, könnte den Aufenthalt in Ernen damit verbinden. Eine Wanderung entlang des Aletschgletschers ist hier beschrieben.
Vielen Dank für die Empfehlung!
Stimmungsvoll in jeder Hinsicht und in „gelockten “ Zeiten ein kleiner Reiseersatz ohne Flug- Autobahn-Eisenbahnkilometer..
Wunderschöne Gegend. Wir waren vor einigen Jahren da und ich möchte so gern wieder hin.
Danke für den kleinen „Ausflug“.
Das hat mir wirklich gefallen.
Da hat offensichtlich tatsächlich jemand mit sehr viel Verstand und Sensibilität saniert.
Den gewohnten Komfort alten Holzdielen und -wänden im Badezimmer zu opfern, wagen sich die wenigsten.
Großes Kompliment an die Eigentümerin.
Herzlichen Dank für das schöne Kompliment! Ja, das Haus hat es verdient. Zum Glück hat es bis jetzt auch immer die richtigen Gäste beherbergen können , die das schätzen und mit Sorgfalt genießen.