Stubaier Gletscher. Tirol. Es war im November 2003 als ich zum ersten Mal in eine Gondelbahn auf einen Gletscher stieg. Davor kannte ich Lifte, einfache Schlepplifte: mit Schnur und Holzstöckchen, welches man sich zwischen die Beine klemmt. Die Gondel der Eisgratbahn am Stubaier Gletscher war anders: bequem schwebte man über Schnee und Fels den Berg hinauf, um dann oben, ohne einen Hauch von Anstrengung anzukommen. Ich fand das großartig!
Treppenstufen zum Glück: die alte Eisgratbahn
Noch war die Talstation des Stubaier Gletschers (1.730 m ü.M.) ein rein funktionelles und relativ unmodernes Gebäude. Hatte man sich morgens irgendwo im Tal aus seinem Bett bewegt, ging es zunächst einige Kilometer die Gletscherstraße hinauf. Natürlich hätte man den Skibus nehmen können, aber ich gebe zu: meistens war ich mit dem Auto da. – An Tagen mit blauem Himmel und Sonnenschein war es eine Freude, wenn hinter den Bäumen mächtig und verlockend die Gipfel der Stubaier Alpen aufblitzten. Dazu die richtige Musik im Radio: ein größeres Glück konnte es für mich kaum geben.
Erreichte man die Mutterbergalm, warteten schon die ersten Mitarbeiter der Gletscherbahn. Auf drei Parkplatzebenen wiesen sie Pkw für Pkw akkurat ein. Es wurde gewunken, bis sich schlagartig die Hand zum STOP hob und zack wurde der nächste eingewiesen.
Nun hieß es raus aus dem warmen Auto – Skischuhe anziehen. Mit dem Board unter dem Arm ging es zu einem der Zubringerbusse zur Talstation. So weit war der Weg nicht, aber anstrengend genug, um es zu laufen. Dafür war man auch schon 2003 zu bequem.
An der Talstation (ich habe leider kein Foto mehr davon) wurde ein Liftpass gekauft, der noch aus Pappe war und den man noch eigenhändig in die Automaten stecken musste, damit sich der Zugang zum „Königreich des Schnees“ öffnete.
Hier teilte sich das Reich der Schneeliebhaber: eine Treppe führte zur jüngeren Gamsgartenbahn, in die sich die hauptsächlich Skifahrer mit Kindern zwängten, die zweite zum Eisgrat. Ich nahm die zum Eisgrat. Warum?
Mit der Eisgratbahn in den Snowboard-Himmel
Als ich den Eisgrat kennenlernte, ging es auf dem Stubaier Gletscher noch sehr viel bescheidener zu: die Berggastronomie war nüchtern und ergebnisorientiert. Der Luxus eines Restaurant Schaufelspitz von heute lag in weiter Ferne.
Die Skischulen waren geteilt. Während unten am Gamsgarten die Skihasen die Hänge eroberten, war der Eisgrat den coolen Snowboardern vorbehalten. Hier zog ich dann in wenigen Stunden und nur wenige Meter von den Gondeln der alten Eisgratbahn entfernt, meine ersten Kurven auf dem Brett. Ein tolles Gefühl und eine Welt, die ich noch heute glücklich bin, erobert zu haben.
Es folgten unendlich viele Skitage jahraus, jahrein. Der Stubaier Gletscher und das Schönherrhaus in Neustift hatten mich in ihren Bann gezogen und ich wollte und konnte mich davon gar nicht lösen!
Immer wieder fuhren wir mit der Eisgratbahn den Gletscher hinauf, juchzten, schwitzten und feierten den Schnee in den Tiroler Bergen. Inzwischen hatte auch mein Kind im „Skiclub Micky Maus“ das Skifahren erlernt. Den gelben Clubausweis und die Medaille für das erste gewonnene Skirennen mit dem obersten Platz auf dem Stockerl halten wir heute noch in Ehren!
Das waren glückliche Tage und die Gondeln der Eisgratbahn waren ein zentraler Punkt. Morgens ging es mit ihnen auf den Berg, am Abend hinab ins Tal. Man lachte und scherzte auf dem Weg hinauf, putzte die Nase, cremte Gesichter ein oder jubelte sich zu, wenn man es geschafft hatte die Mittelstation ohne einen weiteren Zustieg passiert zu haben.
Die Skier kamen schon damals immer in die Fächer außen auf der Gondel. Für das Snowboard schnappte man sich eine gelbe Plastikhülle. So waren die Scheiben von innen vor den scharfen Kanten sicher und vor allem aber auch der eigene Kopf.
Einen Stillstand der Bahnen gab es selten. Nur wenn es stürmte, dann fielen die Bahnen aus.
Der Gletscher verändert sich
Nach und nach veränderte sich vieles am Stubaier Gletscher. Während die winterlichen Schneemengen von Jahr zu Jahr weniger zu werden schienen und das Zurückgehen des Gletschers kaum zu leugnen war, ging es mit den Besucherzahlen steil bergan.
Die alte Talstation verschwand und es entstand ein moderner Neubau. Nun waren die Skipässe aus Plastik, der Zugang zu den Gondeln weitläufig und hell. Die Zubringerbusse fuhren noch tagtäglich ihre Schleifen. Nach einem langen Skitag fuhr man oft zuletzt den Schleichweg hinter der Mutterbergalm zum Parkplatz.
Der Umbau der Talstation brachte nicht nur Vorteile mit sich, sondern bedeutete ebenso den Verlust einer kleinen urigen Schirmbar, an der wir gern unseren Glühwein nach einem langen Skitag tranken. Auch die Gastronomie und die Stationen auf dem Berg veränderten sich – durch Umbauten vergrößerte sich alles. Die Snowboardschule verliess den Eisgrat und wurde mit den anderen Skischulen am Gamsgarten zusammen gelegt. Das Eisgrat-Restaurant wurde modernisiert und aus dem schrammeligen Bergrestaurant wurde eine helle und moderne System-Gstronomie.
Das rumpelige Ski- und Souvenirgeschäft mit dem Sonderangebot-Krabbelkörbchen am Eingang wich einem modernen und hell ausgeleuchtetem Sportgeschäft mit Ski- und Schuhdepot.
Service für den Gast wurde im Königreich des Schnees immer größer geschrieben und der Besuch für die Wintersportbegeisterten immer bequemer.
Pfiat di und Galts Gott – Letzte Fahrt am 2.4.2016
Nun heißt es jedoch Abschied nehmen von der alten Eisgrat-Bahn, die einer neuen und modernen Anlage 3S Eisgrat weichen muss. Wehmut kam auf, als ich bei meinem letzten Besuch im Januar von dem Umbau erfuhr und ja – tatsächlich flossen ein paar Tränen.
Aber es war auch ein schöner Abschied, denn ich hatte nach all den Jahren anlässlich der Dine & Wine 2016 mitten in der Nacht die Gelegenheit das letze Mal mit der alten Eisgratbahn zu fahren. Es war ein würdiger Abschied und ein eindrucksvoller: Die alte Stubaier Eisgratbahn – ich hab sie für immer in mein Herz geschlossen!
Und hier noch eine Erinnerung, die mir als Einsendung zu einem Gewinnspiel zugeschickt wurde. Sie zeigt, dass ich mit meiner Liebe zu dieser Bahn nicht alleine bin. Sie hatte viel Fans!
Ich war vor etwa 22 Jahren das erste Mal im Stubaital und meine drei Freunde und ich saßen Morgens immer im ersten Lift um das mit dem Snowboard zu lernen.Jeden Morgen machten wir eine Dose eines Getränks auf, das es in Deutschland damals noch nicht gab und wenn ich heute oder wann auch immer in den letzten 22 Jahren, eine solche Dose öffne, dann sitze ich für eine Sekunde wieder mit meinen Jungs im ersten Lift auf dem Weg nach oben. Egal, ob ich im Stubaital oder in den französischen Alpen bin, egal ob ich im Dschungel von Laos oder im Hamburger Büro sitze. In dem einen Moment sitze ich im Stubaital in der Gondel. Das ist einfach nur großartig.
Jörg m. krause | capitan http://www.facebook.com/myfunkyweddingcom
Hast Du auch so eine Geschichte zu erzählen? Ich freue mich über Deine Einsendung!
Schade.
Danke für die schönen Bilder Caris.
Monika
Sehr schön und fast ergreifend der Abgesang auf die Eisgratbahn. Der Schnee ist weniger geworden, der Andrang der Massen aber größer. Zu der Entwicklung des Tourismus gerade in Nordtirol empfehle ich, die Bilder des Starfotografen Lois Hechenplaikner im Buch „Hinter den Bergen“anzuschauen, die liebevoll die alten Situationen mit dem touristischen Jetztzustand vergleichen (der wird natürlich nicht liebevoll betrachtet) – da kommen einem die Tränen, was der Massentourismus in den Tiroler Bergen angerichtet hat. Da kann man nur wieder Erich Kästner zitieren:
Das Gebirge machte böse Miene
das Gebirge wollte seine Ruh
und mit einer mittleren Lawine
deckte es die blöde Bande zu.
Mit dem Klimawandel wird sich wohl das Skifahren in den nächsten Jahren unter 2.500 Höhenmetern von selbst erledigen, denn auch den Kunstschnee wird man sich nicht mehr lange leisten können wenn die Gletscher abschmelzen und in den Tälern Wassermangel auftritt.
Wir werden dann auch nostalgisch den „guten alten Zeiten“ nachtrauern müssen.
Andreas