Ein unbestimmtes Tal ist der Schauplatz des Romans „Ein ganzes Leben“. Indem der Autor Robert Seethaler dem kleinen Ort, seinen Straßen und den umliegenden Bergen die Namen nimmt, wird das Auf und Ab der Landschaft zum Abbild des Lebens des Seilbahnarbeiters Andreas Egger. Mit dem Stigma des unehelichen „Bankerts“, wächst er als Pflegekind auf dem Hof eines brutalen Bauern auf. Gezüchtigt und in der Folge der brutalen Schläge im Dorf als „Hinker“ verspottet. Der nichts in Papierform vorzeigbares lernt, aber vieles kann und zu einem kräftigen und vor allem zufriedenen Mann heranreift.
Robert Seethaler gelingt es, jenseits aller Alpenfolklore eine neue Sprache für die Natur zu erfinden. Zwar muten manche Wendungen und Satzbauten altertümlich-biblisch an wie das unschuldige Stammeln Andreas Eggers zu einer Verehrerin: „Ich bin erst bei einer Frau gelegen.“ Die Kraft der Berge reicht Robert Seethalers Sprache, die an Adjektiven spart, wo Handlung stattfindet. Und zugleich findet er immer wieder neue Bilder für Bergspitzen aus hellem Porzellan, für das Geräusch der Stille und die Gefühle, die Kälte und Wind auf der Haut hinterlassen.
Als Hörbuch, gelesen von Schauspieler Ullrich Mathes, ist das besonders eindrucksvoll, weil sein klarer Duktus und seine sensibel gewählten Tonlagen den Text unterstreichen: Es ist eine Zeitreise auf zwei Ebenen – eine Berggeschichte, die in den entscheidenden Jahrzehnten spielt, in denen sich die bäuerliche Einöde der Alpen dem Tourismus öffnet.
Diese Ebene ist weit mehr als nur Kulisse, weil auch die Hauptfigur Andreas Egger als Seilbahnarbeiter seinen großen Teil zu diesem Wandel beiträgt.
Seethaler schildert ihn schlicht, aber nicht dumm, gelassen, aber nicht untätig. Andreas Egger ist Spiegel einer Landschaft, die nicht ohne Anstrengungen auskommt. Die rau ist und in der deshalb das Zarte umso klarer leuchtet. Wie ein Solitär ist in Eggers Leben und den Roman die kurze und taktvoll erzählte Romanze zwischen Andreas und seiner Geliebten eingebettet. Gegen Ende seines Lebens heißt es: „Er hatte eine Liebe gehabt und sie wieder verloren. Fortan würde ihm nichts Vergleichbares mehr geschehen, das galt für ihn als abgemacht“.
Ein ganzes Leben
Autor: Robert Seethaler
Der Roman „Ein ganzes Leben“ ist als Buch erschienen. Erhältlich auch als Hörbuch bei Audible mit einer Spieldauer von 03 Std. 50 Min. (gesprochen von Ulrich Matthes.)
Sehr schön geschrieben liebe Charis. Du hast mich auf das Buch ganz schön neugierig gemacht. Herzlichen Dank! Bist Du dieses Jahr auf der ITB in Berlin? Es wäre schön Dich wieder zu sehen. Alles Liebe Hilke
Ich bin da. Vielleicht sehen wir uns! Liebe Grüße.
Ein besonderes Berg-Buch, das mir gerade durch seine ruhige, unaufgeregte Erzählweise sehr gefallen hat. Ich habe es auch vor ein paar Tagen in meinem Blog empfohlen.
Danke für diese Besprechung eines besonderen Buches, das ich schon vor einiger Zeit mit ernstem Vergnügen gelesen habe. Empfehlenswert, da es ohne jeden falschen Zungenschlag des meist unvermeidlichen Alpinkitsches auskommt.
Ich möchte im Gegenzug keinen Roman sondern drei Sachbücher von Prof. Christian Kreiß empfehlen:
– Gekaufte Forschung (2014) Europa Verlag
Wissenschaft im Dienst der Konzerne
– Geplanter Verschleiß (2015) Europa Verlag
Wie uns die Industrie zu immer mehr und immer schnellerem Konsum antreibt
– Werbung (2016) Europa Verlag
Nein – danke! Wie wir ohne Werbung besser leben könnten
Hier geht es um essentielle Dinge unserer alltäglichen Gängelung durch wirtschaftliche Macht und asoziales Verhalten von Konzernen, die wenige wohlhabende noch reicher machen und die Alternativen zu einer nachhaltigen Zukunft versperren.
Andreas