KURTATSCH. Das Wort „erweitert“ trifft es in diesem Fall nur ungefähr – genauer gesagt muss es heißen „perfektioniert“. Dieser Ausdruck entspricht auch besser den von der Kellerei Kurtatsch gekelterten Weinen. Das große Kapital der Kellerei sind die teilweise sehr steilen, nach Osten gerichteten Weinberge, mit ihren Höhenlagen von 220 bis 900 Meter über dem Meer. Auf den vielschichtigen Böden und den unterschiedlichen Höhenlagen findet jede der angebauten Rebsorten ihr ideales Terroir: heiße Lagen für reife Rotweine und hohe, luftige Lagen für Weißweine.
39040 Kurtatsch – Südtirol
Geschichte der Kellerei Kurtatsch
Angefangen hat alles vom Gründungsjahr 1900 bis 1923 im Ansitz Freienfeld, erbaut 1521, der schließlich für die 190 Kellereimitglieder zu klein wurde. Er dient heute aber noch als Barriquelager, Weinarchiv und für exklusive Verkostungen. Die Kellerei wurde schließlich an eine Kreuzung mit der Weinstraße verlegt, wo sie sich maßstäblich in die umgebende Bebauung einordnete. Fast zu bescheiden für ein anspruchsvolles Publikum, das die besonderen Weine in einer ziemlich düsteren Vinothek verkosten musste. Um diese etwas unbefriedigende Situation einladender zu gestalten und auch der räumlichen Enge im Keller abzuhelfen, beschlossen die Kellereigenossen sich zum 120 Geburtstag im Jahr 2020 einen zeitgemäßen Umbau zu schenken, der architektonisch und technisch auf dem neuesten Stand sein sollte.
Wie alle qualitätsbewussten Bauherren entschied sich die Kellerei für einen Architektenwettbewerb, zu dem 5 renommierte Studios um Alternativen anhand eines gut vorbereiteten Programms eingeladen wurden. Ein unabhängiges Preisgericht aus Fachleuten entschied sich für den Vorschlag der Bozner Architekten Sylvia Dell’Angolo und Egon Kelderer. Die Architekten hatten bereits Erfahrung bei Entwurf und Bau für die Kellerei Bozen gesammelt (eröffnet 2019) – der Auftrag ging also nicht an Neulinge. Entscheidend für das Votum der Jury war neben der Erfüllung der kellertechnischen Anforderungen eine übergeordnete architektonische Idee zur unverwechselbaren und einladenden Identität des Erscheinungsbildes, das ja zuvor doch sehr zurückhaltend war. Dennoch blieb das schöne Verwaltungsgebäude erhalten und somit auch eine historische Dimension der Kellereiarchitektur.
Sylvia Dell’Agnolo und Egon Kelderer haben das Projekt für die Kellerei Kurtatsch entworfen. Sie hatten Erfahrung bei Entwurf und Bau für die Kellerei Bozen gesammelt. In ihrem Entwurf blieb auch eine historische Dimension der Kellerarchitektur erhalten.
Felswände um Kurtatsch
Wer sich aufmerksam der Lage und dem Ortsbild von Kurtatsch nähert, dem werden die rigiden Felsen aus hellem Dolomit in der schützenden Bergkette über dem Ort ebenso auffallen, wie die steilen Abfälle des Felsgesteins unterhalb des Ortes zur Ebene hin.
Den Architekten gelang es, diese charakteristische Landschaftsstruktur aufzunehmen und als auffallende Eingangsfassade mit gefalteten Betonplatten aus Zuschlagstoffen des gleichen Gesteins zu interpretieren. Die gut überlegte architektonische Entscheidung stellt sich nun nicht als ein formaler Gag dar, sondern verleiht der Kellerei Kurtatsch den bisher fehlenden Charakter einer Landmarke. Die Fassade ist zu den Felswänden der benachbarten Millawände jedoch gedreht und wird so zu einer unverwechselbaren Empfangssituation einer ganz besonderen, geradezu einmaligen Kellerei.
Zugang im Einklang mit der Umgebung
Diese Eingangsfassade hinter der großzügigen Vorfahrtssituation hätte im Kontext des Dorfes aufgesetzt unmaßstäblich wirken können. Dem Besucher des Ortes fällt sie jedoch erst unmittelbar davor stehend auf, ebenso fällt das Volumen des neu eingebrachten Baukörpers weder in der Dachaufsicht noch von weitem bei der Ortsanfahrt aus der Talebene auf. Den Architekten ist zu danken, dass die sensible und kleinteilige Dorfstruktur nicht durch einen gewalttätigen Eingriff im Maßstab gestört wurde und dennoch der Kellerei eine außergewöhnliche Identität vermittelt wurde, die erst im Näherkommen ihre Wirkung entfaltet.
Somit bleibt die regionale Dörflichkeit gewahrt und man wünschte sich mehr solche sensiblen und dennoch selbstbewussten Einfügungen in Südtirols Kultur- und Dorflandschaften, die derzeit immer mehr einer gedankenlosen Zersiedelung mit Allerweltsbauten unterliegen.
Die ehemalige Hauptzufahrt in der Steigung der Straße, dient jetzt nur noch der internen Erschließung und Anlieferung ohne Störung durch den Besucherverkehr, der direkt von der Weinstraße bis vor den Zugang zur neuen Vinothek geschieht. Die gefalteten Betonelemente der Eingangsfassade verhindern zunächst den Einblick, der sich im Inneren aber in einen grandiosen Ausblick über das tiefer liegende Etschtal erweitert. Raumhohe Verglasung ohne störende Rippen trennen die Terrasse vom Innenraum mit seinen Verkaufs und Präsentationstheken. An ihnen kann man sich über den Inhalt der ausgestellten Flaschen orientieren, bevor man sich zum Verkosten entschließt – ästhetisch und didaktisch sehr schön ausgestaltet.
Verkostungsraum und Barriquekeller
Die Verkostungstheke wird von einem hohen Dachoberlicht gut ausgeleuchtet und gibt dem Raum unter dem ansteigenden Schrägdach eine luftige Großzügigkeit, zusammen mit den Holzmaterialien der Einrichtung und Deckenverkleidung. An die Vinothek schließt sich ein intimer, ganz in Holz gehaltener Verkostungsraum für maximal 12 Personen an – eine ideale Anzahl von Teilnehmern an einer geführten Verkostung, die auch intensive Diskussionen erlaubt.
Der neue Bauteil der Vinothek gliedert sich geradezu harmlos in den Bestand ein, verbunden mit einer räumlich sehr schönen Treppenanlage durch alle Geschosse und vor allem in das Prachtstück der Vinifizierung, dem Barriquekeller, dessen breite Rückwand grob aus dem Fels gehauen wurde und damit das Thema der Kurtatscher Felsformationen aufnimmt.
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Marketing mit Architektur
Der Gärkeller mit Edelstahltanks verblieb im alten Bauteil und ist mit einer überdeckten Zufahrt für die Traubenanlieferung vomNeubau abgetrennt. Das Geburtstagsgeschenk, das die Kellerei sich und ihren Winzern gemacht hat, spiegelt in der Architektur die Qualität der hier vinifizierten Weine gleichwertig wieder und ist somit ein Marketinginstrument, das sich gewiss den Besuchern fest einprägt.
Ergänzt werden kann diese Erfahrung durch organisierte Begehungen der Weinberge – Weinkenner erleben gerne Landschaft, Trockenmauern, Böden und die Erziehung der Weinreben, aus denen der von ihnen geschätzte Wein entsteht.
Die Kellerei Kurtatsch ist zwar eine der kleineren Kellereigenossenschaft Südtirols – aber mit großen Weinen und einer entsprechend großartigen Architektur, die sicher ein fester Bestandteil der Weinreisen von Architekturliebhabern werden wird. Es zeigt sich an diesem Bau wieder, dass die moderne Architektur in Südtirol mit ihre besten Beispiele im Weinbau hervorgebracht hat. Vorbei sind die Zeiten von mit Spinnweben durchzogenen finsteren Kellerhöhlen und falscher Verkostungsromantik, die früher häufig dazu diente, mittelmäßige Weine zu kaschieren. Moderne Weine sind ein Lebens- und Genussmittel, das, hygienisch erzeugt, die Lebensfreude unsererZeit vermitteln soll – auch optisch, in ästhetischen Räumen.
Das große, 6.6 Millionen teure Geburtstagsgeschenk ist sein Geld wert und bietet ein schönes Architekturbeispiel.
HINTERGRUND
Die Côte d’Or Südtirols
Wenn die Rede auf das „Terroir“ kommt, also nicht nur auf die Lage der Weinberge, sondern auch deren Untergrund, Makro- und Mikroklima, Anzahl der Bestockung und Aufzuchtsweise, dann liegen in der Vielfalt dieser Merkmale die Weinterrassen der 190 Winzer der Kellerei Kurtatsch ganze vorne beim Interesse von Südtiroler Weinliebhabern.
Was da zwischen 220 und 900 Meter ü.d.M. an Unterschiedlichkeit der Rebsorten angeboten wird ist ziemlich einzigartig: Cabernet Sauvignon, Blauburgunder, Lagrein und Merlot erreichen in den heißen, sonnigen Lagen der Talnähe ebenso ihre physiologische Reife wie Rosenmuskateller, Weiß- und Grauburgunder, Sauvignon Blanc, Chardonnay, Goldmuskateller und Gewürztraminer in den mittleren Hanglagen. Müller-Thurgau bringt seine elegante Frische mit zarter Würze auf 900 Metern in Graun ideal zur Geltung. Man kann bei den erreichten Qualitäten aller Sorten ruhig von der Côte d’Or Südtirols sprechen. Der französische Ausdruck ist ein passender Ehrentitel, wenn man an die 1980er Jahre denkt als der Cabernet Sauvignon Freienfeld bei Blindverkostung unter Fachleuten in Paris die französischen Mitbewerber glatt überrundet hat. Das war eine Sensation in der Weinwelt, die damals dem charmanten aber einfach strukturierten Vernatsch als alltäglichem Trinkwein noch weitgehend verhaftet war. Der Freienfeld als Cabernet Sauvignon Riserva und auch der Chardonnay Riserva sind heute die hochwertigsten Weine der Kellerei Kurtatsch und werden nur in herausragenden Jahrgängen vinifiziert, wenn das Wetter die besten Trauben aus den ältesten Weingärten zur optimalen Reife gebracht hat.
Die Kellerei bietet zwei Qualitätslinien an: die Linie TERROIR mit Rotweinen aus den heißesten Lagen Südtirols und Weißweine aus steilen Lagen, deren niedrige Erträge besonderen Gebietscharakter aufweisen und nur in guten Lagen in die TERROIR-Flaschen kommen. Dazu die Qualitätslinie SELECTION aus kontrolliertem, reinsortigen Anbaumit reduzierten Erträgen, die den Charakter der Kurtatscher Lagen mit Typizität erfüllen.
So eine schöne Fassade für eine Weinkellerei – das macht Eindruck.
Und das Geld dafür muss erst verdient werden. Wer wollte da zweifeln, dass der Wein nicht genau so edel ist?