In Österreich lässt es sich anständig essen. Das ist nicht neu und davon konnte ich mich gerade erst wieder bei einer Wochenendreise ins Gasteinertal überzeugen.
UPDATE:
Die Veranstaltungsreihe „Anständig essen“ wurde eingestellt. Der Artikel vom 2. April 2015 bleibt als Erfahrungsbericht erhalten.
Anständig essen: In Österreich schon lange ein Begriff
Während sich in Deutschland die Mär vom schnitzel- und knödelkonsumierenden Bergmenschen hält, hat sich die Alpenregion in den letzten beiden Jahrzehnten in ein Paradies für Feinschmecker verwandelt. Längst haben es zahlreiche Köche in den Hauben-Olymp geschafft und existieren Winzer, die ihre alten Weinberge zu neuem Leben erweckten. Viele Gastwirte in ganz Österreich kochen mit regionalen Zutaten und greifen auf Lebensmittel aus eigener Landwirtschaft oder Jagd zurück.
Um sich mit Essgewohnheiten, Qualität von Lebensmitteln und der Frage: „Schmeckt Bio wirklich besser?“ auseinanderzusetzen, fand am 27/28. März 2015 in Bad Hofgastein das Food-Symposium „Anständig essen“ statt. Namhafte Vertreter aus Wissenschaft, Gesellschaft und Handel lieferten sich neben interessanten Vorträgen häufig lebhafte Debatten. Ich war dabei und habe einige Gedanken dazu aufgeschrieben.
BIO in Österreich – ein paar Zahlen
Die freie Agrarwissenschaftlerin und Fachbuchautorin Andrea Heistinger beschäftigt sich unter anderem mit sozialen Fragen der österreichischen Landwirtschaft. Sie stellt Biobauern vor, die neue Wege beschreiten, um der Stagnation im nicht immer lupenreinen Bio-Landbau zu entgehen.
Bei Ihrem Eröffnungsvortrag auf dem Symposium nennt sie einige Zahlen zum Bio-Anbau in Österreich, die die aktuelle Situation begreifbarer machen. Die Zahlen beziehen sich auf 2015.
Umsatz an Bio-Lebensmitteln: 391 Millionen Euro
120.000 Tonnen verkaufte Bio-Lebensmittel pro Jahr
21.000 Biobauern im Alpenland machen 18% der österreichischen Landwirtschaft aus
Aber ist Bio eben wirklich besser? Während sich der Absatz in der EU seit 2007 vervierfacht haben soll, gerät Bio immer mehr in die Kritik. Viele Lebensmittel kommen längst nicht mehr vom Bauern nebenan. Große Bio-Ketten, wie Ja! Natürlich (gehört zu Billa und damit zur Rewe-Gruppe) verkaufen türkische Marillen unter dem Deckmantel des „regionalen“ Anbaus. Das führt selbst bei genauer Kennzeichnung der Produkte zu einer undurchsichtigen Situation. Und es stellt sich die Frage, ob der Verbraucher biologische Produkte aus Gesundheitsgründen kauft oder lediglich, um sein ökologisches Gewissen zu beruhigen. Eine Bio-Marille, die mit Diesel transportiert wird, kann kaum besser sein, als die konventionell erzeugte vom Obstbauern nebenan. Fragen über Fragen!
Während die Gasteiner und ihre Gäste Andrea Heistinger, der Kabarettist Roland Düringer, Ja! Natürlich Geschäftsführerin Martina Hörmer und der Spitzengastronom und Hotelier Walter Eselböck aus dem Burgenland hitzig diskutieren, bleiben viele Fragen offen und können auch bei einer abschließenden Bio-Jause mit Produkten aus dem Gasteinertal nicht abschließend geklärt werden.
Ein Blick auf den gedeckten Tisch zeigt auf jeden Fall: Bio ist heute absolute Feinkost und hat das Bild des verschrumpelten Äpfelchens in Österreich schon lange abgelegt.
BIO oder Konventionell? Eine Vergleichsverkostung
Am zweiten Tag des Symposiums wird es spannend. Mit einem Schnapsglas in der Hand stehen wir auf einem Kräuterbauernhof hoch über dem Tal. Es wird geschnuppert, der Inhalt beäugt, vorsichtig probiert.
„Sie trinken gerade Spritzmittel!“ erklärt Reinhard Geßl vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau. Der Schafgarbentee, den wir trinken, wird als Schädlingsbekämpfung im biologischen Landbau verwendet. Und damit sind wir sofort beim Unterschied. Während im konventionellen Landbau oft nicht klar ist, welche der Schädlingsbekämpungsmittel sich im Produkt anlagern, bleiben bei Bio-Anbau die Hilfsmittel natürlich und werden nur äußerlich angewandt.
Der spannende und durchaus zur Nachahmung empfohlene Teil ist die Blindverkostung. Äpfel werden verglichen, Milch, Wurst. Käse und Edelbrände. Das Ergebnis ist allerdings fast immer gleich: die Bio-Produkte schmecken zwar oft besser, sie herauszufiltern ist aber nicht ganz leicht und ein kleiner Zweifel bleibt, ob sie in jedem Falle immer die geschmacklichen Sieger wären.
Vorteile von Bio-Lebensmitteln
(Quelle: Studie von Dr. A.Velimirov und Dr. W. Müller für BIO ERNTE AUSTRIA)
Bio Lebensmittel enthalten nachweislich mehr Vitamine und Mineralstoffe und sind weniger mit Schwermetallen belastet. Sie enthalten mehr sekundäre Pflanzenstoffe, was beispielsweise der das Immunsystem anregt, positiven Einfluß auf den Blutdruck haben kann, bakterienhemmend, antiviral und antioxidativ wirkt.
Bio Lebensmittel weisen einen höheren Trockenmassegehalt auf, halten länger bei artgerechter Lagerung und enthalten deutlich weniger Nitrate und Pestizid-Rückstände als herkömmliche Lebensmittel. Dass keine Gentechnik zum Einsatz kommt, versteht sich von selbst als Vorteil! Von tierischen Bioprodukten lässt sich außerdem sagen, dass diese eine günstigere Fettsäurezusammensetzung bieten und Bio-Eier beispielsweise nicht nur mehr schwerer sind, sondern außerdem eine höhere ernährungspysiologische Qualität mit sich bringen.
FAZIT – Ist Bio wirklich besser?
Ich gebe dem Kaberettisten Roland Düringer recht, der im übertragenen Sinne die These aufstellte: Wir verhungern, während wir essen. Uns geht die Natur verloren, obwohl wir immer mehr Natur um uns haben (angebliche Natur PUR, natürliche Produkte, und und und..) und es ist völlig Wurscht, ob wir eine unmoralische Pizza aus konventioneller Herstellung essen oder ein Bio-Müsli, wenn wir dieses gestresst, in einem ungesunden Alltag auf dem Sprung zur Arbeit tun. Wozu dann also Bio?
Seine Auffassung, es sei vermessen, das Klima retten zu wollen, während man hinnimmt, dass Einkaufsmöglichkeiten immer rationeller werden, bis nichts anderes mehr geht, als mit dem Auto vorzufahren, teile ich. Und damit treffen sich österreichische und deutsche Lebensverhältnisse und es ist klar: Das in Gastein abgehaltene Symposium „Anständig essen“ trifft im Kern auch den bundesdeutschen Alltag.
Mitgenommen habe ich folgende Anregung von Walter Eselböck , die ich gern an Euch weitergeben mag:
Der Herd sollte das Lagerfeuer unserer Vorfahren ersetzen. Nicht das Laptop, nicht das Handy. Wir können mit den Jahreszeiten und entsprechenden saisonalen Produkten leben, wir können Kräuter sammeln und regionaler denken.
Ein schöner Ansatz.
Über »Anständig essen«
»Anständig essen« ist ein Symposium, das für die Gasteiner Region und darüber hinaus impulsgebend sein soll. Ziel ist, das gesamte Gasteinertal nach und nach auf biologische Landwirtschaft umzustellen.
Stattgefunden hat das Foodsymposium 2015 zum dritten Mal in Folge. Gastgeber waren die Gasteinertal Tourismus GmbH, der Tourismusverband Bad Hofgastein und der Autor und Journalist Christian Seiler.
ANSTÄNDIG ESSEN – FOOD-SYMPOSIUM IN BAD HOFGASTEIN
Gasteinertal Tourismus
Abschließend ein Bild vom Menü des Wiener Gastronomen Konstantin Filippou, der oberhalb von Bad Hofgastein im Weitmoser Schlössl für uns kochte. Für mich schien das Menü wenig harmonisch in Bezug auf die angekündigten regionalen Elemente. Dennoch schmeckte es köstlich und war von wunderbaren Weinen aus dem Bio-Weingut Oggau im Burgenland begleitet.
Zu diesem Thema möchte ich die 100 Kapitel im Buch „Junk Food“ von Hans-Ulrich Grimm empfehlen – super recherchiert, gut lesbar und einfach zu beherzigen.
Zugegeben: nicht jeder kann wie ich in einer Kleinstadt die Supermärkte meiden, beim Bauern kaufen oder zum qualifizierten Einzelhändler ausweichen. Das alles natürlich zu Fuß und immer auf der Suche nach dem jahreszeitlichen Angebot. Schließlich: selber kochen ist die beste Gesundheits- und Wohlfühl-Garantie. Was die haubengeschmückten Berglersterneköche angeht: mir wäre eine Rückkehr zu einfachen bäuerlichen Gerichten lieber als die aufgeschnetzten Knödel aus Kamutbrotbrocken mit Saiblingrogen an Eselsmilchschaum – die sogenannte „verfeinerte“ Alpinküche für Herrn Feinschmecker Schicki und seine Frau Micki die meilenweit mit ihrem Cayenne anreisen (für die Mousse aus Brillenschafhoden auf Löwenzahnblütenpürré nach dem Gletschereissorbet hat sich doch die Fahrt gelohnt – gell, Schatzi!)
Mahlzeit!
Andreas